Der Meuchelmord

Der Knall eines Gewehrschusses zerreißt die Stille des Vormittags im Thiemitztal. Nein, besonders beunruhigend oder gar gefährlich für die wenigen Bewohner des Tales war es nicht. Sie hörten fast täglich Schüsse aus Pistolen, Gewehren, ja manchmal sogar aus einer Kanone, denn unweit ihrer Behausung im Tal, so etwa eine Stunde Fußmarsch entfernt ist einer der großen Heereslagerplätze, wo um 1634 auch Söldnerheere von König Gustav Adolf oder Johann Tilly und andere Heerführer mit teilweise zehntausenden von Kriegsleuten und deren Angehörige lagern.

Seit 16 Jahren tobt nun schon der Glaubenskrieg. Galt der Schuss vielleicht einem Rothirsch, Wildschwein oder Reh zur Aufbesserung der Selbstversorgung? Es war so wie es war! Dem Lorchenmüller hatten marodierende Söldner vor einer Woche sein Anwesen geplündert und die Scheune abgefackelt. Retten konnte er nur den Heuwagen und einige Geräte. Doch nun, acht Tage später. Durch das Fenster traf die Kugel  Müllermeister Jakob, zerfetzte seinen Leib, trat im Rücken aus dem Körper aus, durchschlug auch noch die Kammertür.

Herzzerreisend der Aufschrei seiner Frau Anna, die mit ihm in der Kammer war. Ihr Mann presste beide Hände an den Bauch, drehte sich, die Beine sackten durch und er stürzte zu Boden. Verbluten dauerte nur kurze Zeit, dann konnte seine Seele durch das zerschossene Fenster entweichen. Bei dem Überfall vor einer Woche war ihr im letzten Moment die Flucht in den Wald gelungen, wo sie sich mit den Kindern versteckte. Entfernt musste sie das erbärmliche Schreien ihrer Magd verursacht durch die Gräueltaten an ihr anhören. Auf das vereinbarte Sägegekreische kam sie mit den Kindern zurück.

Einen dieser Übeltäter hatte ihr furchtloser Mann bewusstlos geschlagen und versteckt. Er fesselte ihn und als dieser dann aufwachte, band er ihn liegend auf einen Baumstamm. Er öffnete den Wasserzufluss zum Mühlrad und die Mechanik der Säge zog den Stamm mitsamt dem gefangenem Söldner durch das laufende Sägegatter. Auch dessen Schreie hatte sie gehört. Den zersägten Körper warf man den Schweinen vor, den Rest aus Knochen vergrub man sehr tief im Boden wegen der Füchse und der Hunde. War also der tödliche Schuss eine Vergeltungsmaßnahme eines Söldners? Möglich, ja möglich war das schon. Oder verbarg sich hinter dem Mord eine andere Person? Erwischt und verurteilt wurde niemand. Ein Meuchelmord in Kriegszeiten war nichts Besonderes. Nur der Sterbeeintrag im Kirchenbuch gibt Zeugnis der Tat.

Anna, die Frau des Getöteten hatte drei Kinder. Allein konnte sie die Mühle mit dem Sägegatter nicht führen. Sie brauchte einen Mann, vielleicht Hans, den Bruder von Jakob. Sie fanden Gefallen aneinander und zweckdienlich wäre es auch. Nach kurzer Zeit heiratete sie den ledigen Bruder ihres Mannes. Acht Kinder gebar sie ihrem neuen Mann. Ein glückliches Ende? Hatte der 30-jährige Krieg ein klein wenig Schicksal gespielt?Jedenfalls wurde der vermisste Söldner nie mehr gefunden. Das mit der Säge und den Schweinen und noch viel grausamere Vorgänge erzählte man sich noch lange, ob es sich so auch ereignet hat, niemand konnte es bestätigen. Ja vielleicht war es so tragisch. Was ist an zwei Toten beachtenswert, wenn der Krieg mehr als 20 Millionen Opfer kostet. In diesem Fall Auge um Auge, Zahn um Zahn, Gerechtigkeit? Wer halt die Toten spielen muss!       dipf